SKExperimental II Liegerad aus Holz
Eine dreidimensionale Skizze
Bei einem Spaziergang in der Vegesacker Fussgängerzone am Hafen, sah ich mein erstes Liegerad in Natura. Es handelte sich um einen blauen Langlieger der Firma Radius (Peer Gynt), dessen gepflegter Zustand sofort auffiel. Meine damalige Freundin wartete ungeduldig während ich die konstruktiven Details beäugte, und als ich dann meinte: "so was muss ich auch mal ausprobieren", hatte sie bestimmt keine Vorstellung von dem, was darauf folgen sollte.
Mein erster Schritt war schon eingeleitet, denn jedes Mal wenn ich unsere Wertstoffe dem Recycling zuführte (selbstverständlich auf dem Fahrrad), fand ich allerlei noch brauchbare Fahrradteile, die ich für einen Kaffeekassen-Obulus bei den Recycling-Hof-Wächtern auslöste, um damit unseren Fuhrpark auszubessern und zu erweitertn.
28er Hinter- und 16er Vorderrad samt Gabel waren schon vorhanden, nur der Rahmen stellte mich vor ein Problem. Da ich keine Möglichkeiten zum Hartlöten oder Schweissen hatte, sägte ich erstmal einige Rahmen in verwendbare Teile und montierte sie mit Hilfe von Schraubverbindungen und Schellen so, dass ich hinten das 28er, in der Mitte das 16er und Vorne ein Tretlager ranschrauben konnte.
Dieses "SKEx I" schleppte ich in mein Arbeitszimmer und simulierte mit einer Schnur die Kettenführung und mit einem Brett den Sitz, um mich dann davorzusetzen und es erstmal auf mich wirken zu lassen.
Was ist im Keller?
Ich begann die ersten zweidimensionalen Skizzen zu zeichnen, um auf sinnvolle Winkel und Längen zu kommen, die ich immer wieder mit SKEx I abglich, bis ich den Rahmen gedanklich auf einen Hohlträger, der sich aufgabelt um das Hinterrad aufzunehmen, reduziert hatte.
Aber wie konnte ich so was herzaubern? Ein Projekt, das ich vorher hatte, war, einen möglichst grossen, stabilen und billigen Arbeits- und Zeichentisch zu bauen. Für eine weiss beschichtete Press-Span-Platte (1m*2m) machte ich ein Gestell aus Dachlatten, die ich zuerst mit Leim und Spax in T- und H-Träger verwandelte. Die Stabilität hätte durchaus für den Auftritt einer kompletten Einmannkapelle und zweier Gogo-Girls gereicht! Warum also nicht aus Holz?
Leider war das 6mm Birkensperrholz, dass ich im Keller fand, nicht wasserfest verleimt, aber als ich anfing die Teile für den Träger der nächsten Skizze zuzusägen, hätte ich niemals vermutet, dass ich mit diesem Fahrzeug eine ganze Saison unterwegs sein würde - warum hätte ich also wasserfesten Leim verwenden sollen?
Besonders stolz machte mich, dass ich es schaffte, ausser der Kette, alles aus "Bordmitteln" und Müll bereitzustellen, denn zu diesem Zeitpunk glaubte ich, in die Seifenkistenzeit zurückgekehrt zu sein, und was hätten meine Mitmenschen wohl davon gehalten, wenn ich für solche Spinnereien auch noch Geld ausgeben würde?
Yo! Ho!
Schon die erste Probefahrt war ein voller Erfolg. Bis auf den unterdimensionierten, aus einem Campingstuhl gefertigten Sitz, der sich zur Seite bog, funktionierte alles wesentlich besser, als ich es erwartet hätte. Selbst die Bremsen versprachen Strassenverkehrstauglichkeit. Nachdem der verbesserte Sitz aus Dachlatten mit Sperrholzknien und Campingstuhlbespannung fertig war, musste ich nur noch Beleuchtung, Reflektoren und Klingel montieren, um nicht mal mehr Angst vor der Polizei haben zu müssen.
Sonne und Regen
Egal wo ich mit dem Teil auftauchte, ob es die Menschen als Fahrrad, Kunstwerk oder einfach nur Kuriosität betrachteten, die Resonanz war immens, und ich hätte einige Male ein "gutes Geschäft" machen können. Hatte ich mir zuerst nicht vorstellen können, überall hin mit meinem Gefährt zu gelangen, zeigte mein Alltag mir, dass ausser an extremen Steigungen und im dichtesten Verkehr, ich absolut sicher und zufrieden unterwegs war!
Das Größte für mich aber war: auf 15 Kilogramm Schrott unterwegs auf dem Deich, 25 Kmh auf dem Fahrradcomputer, ganz locker 'ne Kippe im Mundwinkel, neben Rennradlern auf 9 Kilo/3000 Mark Rückenkrümmern herzufahren.
Nur eins nervte: die Regenphobie, die sich verständlicherweise bei mir entwickelte.
Zurück in den Kreislauf
Mein nächstes Holzrad war natürlich schon im Bau: Hinterradfederung, zwei Ketten mit Zwischengetriebe, Hinterrad mit Trommelbremse u.s.w., die Teile sammelten sich. Aber so wunderschön meine Hinterradschwinge mit dem Getriebe auch geworden war, so unmöglich sah der Rest des Rahmens aus, nachdem ich Verstärkung um Verstärkung anbrachte um die notwendige Stabilität zu erreichen. Noch vor der ersten Montage der Einzelteile gab ich das Projekt auf und besann mich darauf, das aktuelle Rad zu verbessern.
Als der Herbst mit immer mehr Regentagen kam, stieg ich auf mein altgedientes Hollandrad zurück und zerlegte das Liegerad, um die Maße zu nehmen und Schäden zu analysieren.
Wie üblich ging dann alles sehr schnell, und wir hatten für unseren Umzug nach England gerade mal 14 Tage um auszusortieren, zwischenzulagern und zu entsorgen.
Als ich mit Gummistiefeln in den Bremer Bergen stand, und den Sperrholzrahmen für die Archäologen der Zukunft deponierte, hatte ich nicht einmal mehr Zeit gehabt, letzte Messungen und Fotos zu machen - und dass ich das Ding, für das ich nur knapp 60.- DM (für die drei Ketten, die ja zusammenpassen mussten) ausgegeben hatte, einem Fahrradmuseum hätte stiften können, fiel mir erst später ein.
Nachtrag vom 06.04.2002:
...als ich mir gerade die Seite nach langer Zeit mal wieder ansah, wollte ich im letzten Satz noch ein 'leider' einfügen - aber was habe ich gelerrnt: man muss loslassen lernen!